23:13 und die Tage danach

Amelia und ich hatten uns nach dem Kennenlernen mit einem langen Kuss vor der Türe verabschiedet, in der leeren Strasse, vor dem Eingang des eingegangenen Restaurants, in dem Khaled uns das Tête-à-Tête bereitgestellt hatte. Es wäre mehr als das möglich gewesen, in diesem Raum, der noch Geheimnisse in sich barg, doch ich besann mich eines Besseren. Galant wie ein Gentleman begleitete ich sie nach Draussen und gab ihr zum Abschied lediglich eine kleine Aufgabe mit. 

Nein, ich startete keine Aktion, kein Abgreifen ihres unter dem Eindruck der Situation leicht bebenden Körpers, nichts, was diese kostbaren Minuten ins Klischee billiger Erzählung von noch billigeren Erlebnissen mit Doms aus dem Discounter hätte abdriften lassen. Der Moment war mir zu heilig. Sie war mir zu heilig. Sie, diese Frau, die sich gerade eben geöffnet hatte wie eine Rosenknospe und auf dem Weg war, meine innige Sub zu werden; sie, die alles auf Schwarz setzte und wie die springende Kugel im Roulette das Spektrum von schüchtern bis frech kunstvoll orchestrierte, ohne den Blick freizugeben auf die Logik, die diese Klaviatur bediente. Lediglich das Resultat des Spiels – Schwarz – das hatten wir beide vor unseren Augen.

Nein, es war nur simple, und doch komplexe Aufgabe: Ich wollte aus ihrer Feder erfahren, was Sie sich wünschte, von mir, für sich, für uns. „Wünsche! Ach Du meine Güte. Ist denn schon wieder Weihnachten?“ hatte sie unsicher und laut in die abgestandene Stadtluft gerufen, und dabei das Entsetzen ausgedrückt, das ich ihr zumutete. Tatsächlich, Wünsche sind so ziemlich das Angsteinflössendste, das es in einer Welt gibt, in der die Lustfeindlichkeit unter dem Deckmantel der Moral immer mehr zu spriessen beginnt. 

Amelia seufzte etwas ratlos, doch schliesslich lächelte sie. Sie akzeptierte den Auftrag und drehte sich auf den Absätzen ihren Pumps weg, um sich aufzumachen, nach Hause. Ich blieb stehen, denn ich wollte den Gradmesser, der mich noch nie belogen, an ihr sehen. So war es dann auch: Bevor sie aus meinem Blickfeld entschwand, drehte sie sich nochmals um zu mir.

Sie war definitiv mein.

Zwei Tage später erhielt ich den Brief, auf den ich so sehnlichst gewartet hatte.

„Mein Herr Quirin

Du hast es mir aufgetragen – ich komme Deiner Aufforderung nach. Unser Abend, ein Tanz auf der Rasierklinge. Du wirst es Dir denken: Ich hasse es, zuzugeben, aber meine Gedanken an Dich sind nicht mehr zu kontrollieren, jedenfalls verfüge ich über keine Kraft, die das vermögen würde.

Wie sehr ich mich sehne nach dem, was mir kein Mann bisher hat geben können. Nicht mal ansatzweise. Ich, die graue Motte, die schon so oft um eine verheissungsvolle Lichtquelle flog und nicht bemerkte, dass es am Ende nur billiges LED war. Dabei verzehrte ich mich nach der Sonne, die mich in einen Schmetterling verwandeln würde. Etwas in mir sagt mir, dass Du sie bist.

Wie sich die Glückseligkeit für mich anfühlen soll, nach der ich strebe?

Es ist dieser Moment, in dem man alles vergisst, der Welt entrückt. Hemmungen verkommen zu einer schwachen Erinnerung an eine graue Vorzeit, die wie eine Sandburg am Meeresstrand immer mehr weggespült wird, mit jeder Welle der Lust. Wellen, die zunehmend stärker, unberechenbarer werden und sich schliesslich zu Wogen auftürmen, um mich in den Fluten der Wollust untergehen lassen.

Gib es mir, wo immer es Dir beliebt, vielleicht an einem verlassenen Ort mit verrotteten, mechanischen Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Ich habe es verdient, vor Dir im Schmutz zu kriechen, Deine Zehen zu lecken, und, wenn meine Zunge das Privileg des Zugangs zu Deiner Rosette geniessen darf, sogar noch mehr. Gib es mir! Es werden meine letzten Worte sein, bevor ich zerfliesse, vor Dir, wegen Dir, für Dich.

Entkommen? Nein, das will ich nicht. Es ist zu spät dafür. Was für ein Glück!

Ich will nur noch das eine: Mich Dir auf dem Silbertablett ergeben, jetzt, ja jetzt genau in diesem Moment. Innerlich flehe ich: Sei mein sexueller Kannibale, verschling mich, tu mir weh, zerfleische mich, nimm meine Seele in Dir auf. Die Zeugnisse Deiner Hiebe, die mich stolz machen werden, was könnte mich mehr erfüllen? Die Intensität, die das Pendel zwischen grauenwundervoller Qual der Züchtigung und Lust erzeugen wird, ich bin sicher, sie wird mir das Tor öffnen zu einem anderen Universum, dem Ort, an den ich gehöre.

Wenn Dein Sadismus sich schliesslich in sexuelle Gier gewandelt hat, dann, mein Herr Quirin, dann nimm Dir alles, was Du willst. Setz mich halbnackt auf rostendes, kaltes Metall, spreize meine Beine, reiss mir die Schuhe und Strümpfe von den Beinen, zieh die gepiercten Schamplippen meine Pussy weit auseinander, sieh ihr rosa Fleisch, getränkt in milchiger Lust, und bitte missachte sie, indem Du nur meinen Arsch benutzt. Lass sie unbefriedigt, meine angeschwollene Muschi, die Dich so sehr spüren möchte, berühre keinesfalls meine kleine, glänzende Perle! Zeig mir, wo mein Platz ist, dring ein in mein enges Loch, benutze es, um die gierige Fotze zu demütigen. Ergiesse Dich in mir, nimm Besitz, zerre mich dann vom Tisch, wirf mich auf den dreckigen Boden und lass mich liegen, benommen von meiner kompletten Ergebenheit.

Ein Kuss? Irgendwann werde ich zu mir kommen, zurück in die Artikulationsfähigkeit, und darum betteln. Vielleicht werde ich die Gnade erleben, ihn zu bekommen, so wundervoll und innig wie bei unserem Abschied.

Ich zittere.

Deine A.

Ich legte den Brief sorgsam wie höchst zerbrechliches Pergament zur Seite und erinnerte mich an einen meiner Lehrer. «You get what you want!» hatte er stets gepredigt. Heilige Kacke, mir war nie bewusst, wie recht er hatte. Und mit welcher Wucht mir gerade dies widerfuhr.

2 Kommentare zu “23:13 und die Tage danach

  1. „Wünsche sind so ziemlich das Angsteinflössendste, das es in einer Welt gibt, in der die Lustfeindlichkeit unter dem Deckmantel der Moral immer mehr zu spriessen beginnt“

    Wie wahr – Chapeau!

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    • In der Tat, der Satz ist mir auch aufgefallen. Allerdings ist mir leider nicht so ganz klar, welche Deckmäntel der Moral der Autor genau meinen mag? Nun, wie dem auch sei, der vorliegende Text, insbesondere der abschließende Brief, ist sehr reich und dicht an erotischen Motiven und dennoch flüssig zu lesen!

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